Berlin, 9. September 2020

Positionspapier Bündnis Faire Energiewende

Die mittelständische Industrie braucht dringend Entlastungen und keinesfalls neue Belastungen bei den Energiekosten!

Klimaschutz ist und bleibt für die gesamte Gesellschaft und damit auch für die mittelständische Industrie eine prioritäre globale Herausforderung, die langfristig, über die vom Corona-Virus ausgelöste aktuelle Wirtschaftskrise hinaus, unser Handeln und Wirtschaften beeinflussen wird.

Allerdings stellen sich durch den jetzt eingetretenen Wirtschaftseinbruch die Fragen nach der Effizienz der deutschen Energie- und Klimapolitik und der Berücksichtigung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen noch einmal in ganz neuer Schärfe. Bisherige und neue einseitig nationale Belastungen bei den Energie- und Strompreisen die über ein wettbewerbsverträgliches Maß hinaus gehen, können die Unternehmen jetzt nicht mehr tragen, wenn sie die Krise überleben und möglichst viele Arbeitsplätze erhalten wollen.

So bedroht der geplante nationale Brennstoffemissionshandel die Existenz vieler mittelständischer Unternehmen, da hier eine neue nationale Abgabe auf Brennstoffe eingeführt werden soll, die europäische und internationale Wettbewerber nicht kennen. Es ist zwar ein grundsätzlich richtiger Ansatz, zur Senkung des CO₂-Ausstoßes diesem einen Preis zu geben. Unternehmen, die Brennstoffe in ihren Produktionsprozessen zwingend einsetzen müssen, haben aber derzeit keine bezahlbare und klimafreundliche Alternative dazu. Daher würde eine Verteuerung von Brennstoffen durch einen nationalen CO₂-Preis für die Unternehmen einzig und allein eine Erhöhung ihrer Produktionskosten in Deutschland bedeuten, die sie im innereuropäischen und internationalen Wettbewerb insbesondere angesichts der Corona-Krise nicht tragen können. Zudem ist die Industrie in Deutschland bei der Erfüllung ihrer Klimaziele voll auf ihrem Zielpfad, im Gegensatz zu den Sektoren Verkehr und Gebäude. Es bedarf daher keines zusätzlichen Mechanismus, der die Industrie zu weiteren Klimaschutzanstrengungen bewegen soll.

Bereits seit vielen Jahren sind zudem die Stromkosten in Deutschland insbesondere für mittelständische Unternehmen viel zu hoch und im europäischen und internationalen Vergleich nicht mehr wettbewerbsfähig. Der Hauptgrund dafür ist die ineffiziente Umsetzung der Energiewende in Deutschland und insbesondere die Höhe der aus dem Ruder gelaufenen EEG-Umlage. Auch eine mögliche Deckelung der EEG-Umlage auf 6 oder 6,5 Cent/kWh löst die Probleme der Unternehmen nicht, da mit einer solchen Deckelung allenfalls das viel zu hohe Niveau der Umlage festgeschrieben würde. Dies würde auch den Aussagen der Bundesregierung im Klimapaket widersprechen, bei der Einführung eines nationalen CO2-Preises werde im Gegenzug der Strompreis gesenkt.


Daher fordern wir von der Politik die schnellstmögliche Umsetzung folgender Maßnahmen:

  1. Die geplante Erhöhung des CO2-Einstiegspreises im nationalen Brennstoffemissionshandel auf 25 Euro/t darf nur in Kraft treten, wenn gleichzeitig die vorgesehene Carbon-Leakage-Verordnung gem. § 11 Abs. 3 Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) in Kraft getreten und wirksam ist.

 

  1. Die Entlastung der Unternehmen aufgrund der Carbon-Leakage-Verordnung muss durch eine rein finanzielle Kompensation der Mehrkosten ohne Vorbedingungen erfolgen.

 

  1. Die Verordnung muss sicherstellen, dass die Mehrkosten den Unternehmen keine Liquidität entziehen und diese Kosten daher von vornherein („ex-ante“) von den Unternehmen ferngehalten werden.

 

Die Bundesregierung hat sich im Herbst 2019 entschieden, den Klimaschutz in Deutschland durch die Einführung eines neuen nationalen Emissionshandelssystems (nEHS) weiter voran zu treiben. Dadurch sollen insbesondere die Bereiche Gebäude und Verkehr einen erheblich größeren Beitrag zur Senkung der CO₂-Emissionen leisten, als bisher.

Die Umsetzung dieses nationalen Emissionshandels soll durch die Einführung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) erfolgen, aufgrund dessen die Inverkehrbringer von Brennstoffen CO₂-Zertifikate erwerben sollen. Die Inverkehrbringer werden die dadurch entstehenden Mehrkosten dann mit der Brennstoffrechnung an ihre Kunden auch aus der mittelständischen Industrie weitergeben.

Um die Unternehmen, die in ihren Produktionsprozessen Brennstoffe zwingend benötigen, nicht in ihrer Existenz zu gefährden, darf das nEHS vorerst allenfalls mit einem deutlich geringeren CO₂-Preis als 25 Euro/t eingeführt werden. Dies muss gelten, bis eine Regelung in Kraft ist, die die Unternehmen wirksam entlastet und verhindert, dass ihnen weitere Liquidität entzogen wird, die ihnen zuvor mit den Corona-Rettungspaketen erst zur Verfügung gestellt wurde.

Zeitgleich mit dem Start des nationalen Emissionshandels muss dringend eine Entlastungsverordnung gem. § 11 Abs. 3 BEHG in Kraft gesetzt werden, die die Unternehmen im internationalen Wettbewerb durch finanzielle Kompensation ohne Vorbedingungen – wie etwa zusätzliche Investitionen in Klimaschutz – entlastet. Daher sollte der § 11 Abs. 3 BEH-ÄG klarstellend geändert werden, um eine solche Kompensation der Mehrkosten ohne Vorbedingungen zu ermöglichen.

 

Für diese Forderungen sprechen folgende Gründe:

 

  • Die geplante Entlastungsverordnung (Carbon-Leakage-Verordnung) für die Industrie im Rahmen des BEHG wird die politischen Prozesse nicht rechtzeitig durchlaufen, um einen Liquiditätsentzug für die Unternehmen im Jahr 2021 zu verhindern. In der Corona-Krise unternimmt die Bundesregierung derzeit viel, um gerade diese Liquidität der Unternehmen und damit deren Überleben zu sichern. Ein CO₂-Preis in Höhe von 25 Euro / Tonne CO₂ im Jahr 2021 würde diese Anstrengungen ad absurdum führen.
  • Das System des nEHS kann mit einem geringen CO₂-Preis eingeführt und seine Funktionsweise somit getestet werden, ohne Unternehmen in ihrer Existenz zu gefährden.
  • Den Unternehmen stehen derzeit noch keine bezahlbaren, klimafreundlichen Alternativen, wie z.B. grüner Wasserstoff oder grünes Gas, zur Verfügung.
  • Der CO₂-Ausstoß sinkt durch die Krise ohnehin, d.h. die nationalen Klimaziele können erreicht werden.
  • Der CO₂-Preis kann jederzeit, wenn sich die wirtschaftliche Situation wieder verbessert hat, unter Berücksichtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhöht werden, um die klimapolitische Wirksamkeit des nEHS zu erhöhen.
  • Die Kompensation der Mehrbelastung der Unternehmen soll den Wettbewerbsnachteil durch den nationalen CO2-Preis ausgleichen. Daher darf diese Kompensation nicht von Vorbedingungen abhängig gemacht werden, die nicht im Zusammenhang mit diesem Wettbewerbsnachteil stehen.

 

Auch ohne die derzeitige Krise würde ein nationaler CO2-Preis vor allem mittelständische energieintensive Industrien im Gegensatz zur ausländischen Konkurrenz erheblich belasten und sicher zu Abwanderungen („Carbon-Leakage“) führen. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen dürfen auch deswegen und gerade angesichts der Corona-Krise den nEHS nicht auf Biegen und Brechen mit einem hohen CO₂-Preis einführen, denn die Situation in Deutschland und der Welt hat sich im Vergleich zum Jahr 2019 fundamental geändert. Die sich langsam abzeichnende konjunkturelle Erholung führt in den Betrieben bisher noch nicht zu einer verbesserten Liquiditätssituation. Die betriebswirtschaftlichen Herausforderungen als Folge der Rezession liegen im Gegenteil noch vor den Unternehmen, wenn die finanziellen Stützungsmittel zurückgeführt werden müssen und politische Schutzschirme wieder geschlossen werden. 

 

Es muss daher im Moment ausreichen, das nEHS zunächst mit einem niedrigen CO₂-Preis einzuführen, um seine Funktionsweise zu testen, ohne dabei Unternehmen in ihrer Existenz zu gefährden. Dabei muss genau geprüft werden, für welche Bereiche der CO2-Preis tatsächlich eine Lenkungswirkung hat oder mangels Alternativen nur wie eine „Strafe“ wirkt.

 

 

 

  1. Die Energiewende muss ab sofort aus dem Bundeshaushalt finanziert werden

Das Bündnis faire Energiewende beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den verschiedenen Vorschlägen zur Senkung der zu hohen Stromkosten in Deutschland und fordert seit Langem die vollständige Abkehr weg von der umlagebasierten Finanzierung der Energiewende hin zu einer fairen, demokratisch legitimierten Finanzierung.

 

Die einzig systematisch saubere und praxistaugliche Lösung des Kostenproblems ist auch angesichts der Corona-Krise die vollständige Übernahme aller Kosten der Energiewende von der Stromrechnung in den Bundeshaushalt.

 

Insbesondere die Kosten der Förderung der erneuerbaren Energien durch die EEG-Umlage, die Stromsteuer, die KWK-Umlage und die anderen staatlich induzierten Kosten müssen ab sofort aus dem Bundeshaushalt finanziert werden.

 

Für diese Forderung sprechen folgende Gründe:

 

  • Alle Haushalte und Unternehmen würden spürbar und nachhaltig um ca. 30-40 Mrd. Euro pro Jahr entlastet
  • Dies würde einen massiven und sofort wirksamen Konjunkturimpuls auslösen, der angesichts der tiefen Rezession durch die Corona-Krise dringend erforderlich ist
  • Gerade sozial schwache Haushalte würden besonders profitieren, da die Umlagen und Steuern auf den Strom unabhängig vom Einkommen erhoben werden und bei sozial Schwächeren einen höheren Anteil am verfügbaren Einkommen ausmachen
  • Die Industrie würde allein bei der EEG-Umlage um ca. 6-8 Mrd. Euro pro Jahr entlastet werden; der schwerwiegende Wettbewerbsnachteil durch die EEG-Kosten wäre damit beseitigt; von dieser Entlastung würde zudem mittelständische Unternehmen überproportional profitieren
  • Die Zukunftsenergie Strom würde nicht länger unnötig verteuert und die Nutzung klimafreundlicher Technologien wie Wärmepumpen oder Power-to-Gas dadurch erleichtert
  • Investitionen in Energieeffizienz und Mitarbeiter würden nicht weiter „bestraft“
  • Nur wirtschaftlich leistungsfähige Steuerzahler würden einen Beitrag zur Finanzierung der Energiewende über die Einkommen- und Körperschaftssteuer leisten
  • Rechtliche Unsicherheiten, bürokratisch äußerst komplexe Entlastungsverfahren und bestehende wie „gefühlte“ Ungleichbehandlungen bei den Stromkosten würden beseitigt
  • Die Verantwortung für das gesamtgesellschaftliche Projekt Energiewende würde von der „bequemen“ Stromrechnung wieder stärker in die Politik zurückgeführt
  • Die Energiewende würde einer sachgerechten Kostenkontrolle unterzogen und die Kosten transparenter gemacht
  • Die Aufwendungen für eine Haushaltsfinanzierung können durch die Einnahmen aus dem Brennstoffemissionshandel zumindest teilweise kompensiert werden; mit steigendem CO2-Preis kann dieser Finanzierungsbeitrag in Zukunft weiter wachsen
  • Die Investitionssicherheit für die Erzeuger der Erneuerbaren Energien könnte durch den Gesetzgeber garantiert werden; daher hätte die Haushaltsfinanzierung keine Nachteile für die Anlagenbetreiber und -bauer

Nach jahrelangen ergebnislosen Diskussionen über die hohen Stromkosten in Deutschland fordern nun beinahe alle Stakeholder eine zumindest anteilige Finanzierung der Energiewendekosten aus dem Bundeshaushalt. Zuletzt haben sich dieser Forderung auch die Energieministerkonferenz der Länder, der wissenschaftliche Beirat des BMWi, die Politikberater Agora Energiewende und die Dena angeschlossen.

 

Die Bundesregierung, die sie tragenden Fraktionen und die Bundesländer müssen nun in Anbetracht der historischen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie und den Klimawandel endlich den seit Langem überfälligen Schritt gehen und die vollumfängliche Finanzierung der Energiewende aus dem Bundeshaushalt auf den Weg bringen. Hier gibt es kein Erkenntnisproblem mehr, sondern nur noch ein Umsetzungsproblem.

Teilen Sie diesen Artikel