Berlin, 26. Oktober 2021

"Energieintensiver Mittelstand braucht Planungssicherheit und Verlässlichkeit für unser Hier und Jetzt"

Interview mit Christian Otto, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Energie-Abnehmer (VEA), zur notwendigen Klima- und Energiepolitik einer künftigen Bundesregierung

Bündnis Faire Energiewenden: Eine neue Bundesregierung, wie auch immer sie am Ende aussehen mag, wird dem Thema Klima eine zentrale Rolle einräumen. Welchen Aspekt darf sie dabei aus Sicht Ihrer Unternehmen nicht vergessen?

Christian Otto: Um vielleicht gleich zu Beginn mit einem Mythos aufzuräumen: Menschen in Unternehmen sind auch nur Menschen. Und als diese haben sie genauso wie in allen Teilen der Gesellschaft verstanden, dass wir uns mehr beim Klimaschutz anstrengen müssen. Wir alle leben auf dem gleichen Planeten und sehen klimatische Veränderungen, die uns Sorgen machen. Die Interessen von Gesellschaft und Unternehmen sind hier also absolut identisch. Das gemeinsame Ziel lautet: mehr Klimaschutz. Doch ich glaube ebenso, einig sind wir uns darin, dass wir immer auch eine Planungssicherheit und Verlässlichkeit für unser Hier und Jetzt benötigen. Diese benötigt jeder Einzelne für seine Entwicklung und diese benötigt auch und gerade die Wirtschaft für eine Zukunftsplanung. Die Antwort auf Ihre Frage lautet also: Klima- und Energiepolitik gelingen nur, wenn sie realistisch gedacht und umgesetzt werden können. Dazu müssen wir alle wissen, was auf uns zukommt und wann. Nur so ist auch Investition möglich. Ein Fahren auf Sicht darf keine Option sein. Ein solch unbekannter Weg verbaut nämlich nicht nur Zukunftsaussichten, sondern auch Erfolg im Wettbewerb, in dem unsere Unternehmen aus dem energieintensiven Mittelstand permanent stehen.

Bündnis Faire Energiewende: Was tun denn Ihre Unternehmen aus dem energieintensiven Mittelstand bereits für den Klimaschutz und wobei könnte sie die neue Regierung unterstützen?

Christian Otto: Das Gros der VEA-Mitglieder, die aus dem energieintensiven Mittelstand stammen, hat bereits schon vor Jahren seine Produktionen und Prozesse optimiert, um Energie einzusparen und effizienter zu werden. Fossile Energieträger werden, da wo es geht, durch erneuerbare ersetzt. Je nach Einzelfall reden wir hier von Investitionen im mehrstelligen Millionenbereich. Diese muss man überhaupt erstmal wieder erwirtschaften. Ein Wunsch vieler Unternehmen ist es beispielsweise, Strom aus erneuerbaren Energien durch Eigenerzeugung zu nutzen. Doch oftmals scheitern Unternehmen hier am Übermaß unserer Bürokratie. Eine neue Bundesregierung könnte beim Klimaschutz also ganz einfach ein positives Signal senden, indem sie kurzfristig die energierechtlichen und bürokratischen Hürden abbaut, die unternehmerischen Klimaschutz an dieser Stelle ausbremsen. Daneben gibt es aber zwei weitaus schwerwiegendere Baustellen, für die der energieintensive Mittelstand händeringend Lösungen sucht.

Bündnis Faire Energiewende: Welche zwei Baustellen sind das?

Christian Otto: Das eine betrifft die technische Komponente und das andere eine wirtschaftliche. Fangen wir mit der Technik an: Was kann ein Unternehmen tun, um klimaneutral zu werden, das beispielsweise Dachziegel produziert und dafür Brenntemperaturen von etwa 1 200 Grad erfordert? Wie kann eine solche Hitze klimaneutral erzeugt werden? Hierfür gibt es gegenwärtig keine verlässliche technische Möglichkeit, die gleichzeitig auch noch halbwegs bezahlbar wäre. Womit wir beim zweiten Punkt sind: der Wirtschaftlichkeit. Wenn klimafreundliche Technologien vorhanden, aber wirtschaftlich gar nicht zu stemmen sind, verfehlen politische Instrumente wie eine CO2-Bepreisung ihre Lenkungswirkung. Im Gegenteil: Unternehmen werden finanziell sogar noch dafür bestraft, weil es an Alternativen mangelt, obwohl sie gerne klimaneutral produzieren würden. Angesichts der aktuell ohnehin explodierenden Gaskosten im Besonderen und horrenden Energiepreisen im Allgemeinen ist dies eine fatale Entwicklung. Das Ziel Deutschlands und das einer neuen Bundesregierung müsste es daher sein, den deutschen Standort ökonomisch wie ökologisch so attraktiv wie möglich zu gestalten. Ansonsten droht uns möglicherweise nicht nur eine wirtschaftliche Abwanderungswelle von Unternehmen ins Ausland, sondern auch eine der Emissionen. Denn mit einer Standortverlagerung einher ginge auch eine Verlagerung der Emissionen. Verschwinden würden sie nicht. Schließlich machen CO2-Emissionen keinen Halt an Landesgrenzen. Dem Klimaschutz wäre damit ein Bärendienst erwiesen.

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